DIE WIRKUNG DES THEOSOPHISCHEN STUDIUMS
von C.W. Leadbeater

Bild: Himalaya Lotus, Bildquelle: Pixabey

„Die Mitglieder der Theosophischen Gesellschaften studieren die Wahrheiten der Theosophie, die Theosophen bemühen sich, danach zu leben“, heißt es in der von der Theosophischen Gesellschaft herausgegebenen Einführungsschrift. Was für ein Mensch wird also der wahre Theosoph infolge seines Wissens? Welche bleibende Wirkung hat das Studium der Theosophie auf sein tägliches Leben?


    Da er weiß, dass es eine höchste Macht gibt, die den Lauf der Entwicklung leitet und die allweise und allliebend ist, so sieht er ein, dass alles, was innerhalb dieses Entwicklungsplanes existiert, dem Fortschritte dienen muss. Er begreift, dass alles in der Welt zusammenwirkt, um das Gute zu fördern, nicht nur in ferner Zukunft, sondern auch jetzt und hier. Es ist für ihn eine absolute Gewissheit, dass jeder Mensch einst zu einem Zustande unbeschreibbarer Herrlichkeit gelangen wird, ganz gleich, wie er jetzt sein mag. Auch noch mehr: er ist hier und jetzt bereits auf dem Wege zu dieser Herrlichkeit und alle Verhältnisse seiner Umgebung sind dazu bestimmt, ihn zu fördern, und nicht, ihn zu hindern, vorausgesetzt, dass er sie recht versteht. Es ist leider wahr, dass es in der Welt viel Übel, viel Sorge und Leid gibt; der Theosoph versteht jedoch, dass dies alles, so schrecklich es auch sein mag, von einem höheren Standpunkte aus gesehen, vorübergehend und unbedeutend ist und ebenfalls dem Fortschritte dienen muss.


    Als er dies in den Tagen seiner Unwissenheit von seiner eigenen Ebene aus betrachtete, war es ihm fast unmöglich, es zu verstehen, nun aber, wo er sich darüber erhebt und es mit dem geistigen Auge ansieht, versteht er es in seinem Zusammenhang mit dem Ganzen und begreift es.


    Erhebt er so sein Bewusstsein über den Sturm und Drang des weltlichen Lebens, dann erkennt er, dass das, was vorher schlecht zu sein schien, etwas ist, was scheinbar gegen den großen Strom des Fortschrittes nach rückwärts drängt; aber er erkennt gleichzeitig auch,  dass der vorwärtstreibende Schwung des göttlichen Evolutionsgesetzes in dem selben Verhältnis zu diesem oberflächlichen Übel steht, wie der mächtige Strom des Niagara zu den Schaumflocken auf seiner Oberfläche. Während er also tiefes Mitgefühl für alle Leidenden hat, erkennt er doch, was am Ende von all dem Leid sein wird, und aus diesem Grunde ist Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit für ihn unmöglich. 

 

Auch auf seine eigenen Leiden und Sorgen blickt er in derselben Weise, und daher ist die eine große Wirkung seiner Theosophie eine vollkommene Heiterkeit - ja mehr als das, eine immerwährende Fröhlichkeit und Freude. 


    Für ihn gibt es keine Angst und keine Sorgen, denn es existiert tatsächlich nichts, worüber er sich sorgen könnte, da er weiß, dass alles gut sein muss. Sein höheres Wissen macht ihn zu einem ausgesprochenen Optimisten, denn es lehrt ihn, dass das Übel sowohl in einem Menschen als auch in einer Bewegung nur vorübergehend sein kann, weil es dem unwiderstehlichen Strome der Entwicklung entgegen gerichtet ist; das Gute jedoch, in einem Menschen oder in einer Bewegung muss notwendigerweise dauernd und nützlich sein, weil es die allmähliche Kraft jenes Stromes hinter sich hat; es muss einmal die Vorherrschaft bekommen. Jedoch darf man durchaus nicht glauben, dass er deshalb, weil er von dem schliesslichen Triumph des Guten so überzeugt ist, gleichgültig gegen die ihn  in der Welt umgebenden Übel bleibt. Er weiß vielmehr, dass es seine Pflicht ist, sie zu bekämpfen, soviel er kann, weil er dadurch auf der Seite der großen Kraft der Entwicklung wirkt und so, mit zu ihrem endgültigen Siege beiträgt. Niemand wird tätiger sein, für das Gute zu arbeiten, als gerade er; doch wird ihm das Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung vollständig fremd sein, unter den soviel andere Menschen oft zu leiden haben.


    Eine andere sehr wertschätzende Wirkung seines theosophischen Studiums ist die, dass er völlig frei von Furcht ist. Viele Menschen sorgen oder ängstigen sich fortwährend um etwas, sie fürchten, dass ihnen dieses oder jenes geschehen, dass dieser oder jener Plan misslingen könnte, und so befinden sie sich stets in einem Zustande der Aufregung; und für viele ist das Schlimmste die Furcht vor dem Tode. Dem Theosophen dagegen ist dieses Gefühl völlig fremd. Er kennt die große Wahrheit der Wiederverkörperung. Er weiß, dass er schon oft seinen physischen Körper abgelegt hat und dass der Tod nichts weiter ist, als ein Schlaf - denn ebenso wie der Schlaf unsere arbeitsreichen Tage unterbricht und uns Ruhe und Erqickung gibt, so werden auch die Tage der Arbeit hier auf unserer Erde von einer langen Nacht astralen und himmlischen Lebens unterbrochen, um uns Ruhe und Erfrischung zu bringen und uns auf unserem Entwicklungsweg zu fördern. Für den Theosophen ist der Tod einfach das zeitweise Beiseitelegen  dieses körperlichen Gewandes. Er weiss, dass es seine Pflicht ist, dieses Gewand solange wie möglich beizubehalten und alle ihm möglichen Erfahrungen dadurch zu machen; wenn aber die Zeit für ihn kommt, es abzulegen, dann wird er es dankbar tun, weil er weiss, dass der neue Zustand, in den er jetzt eingehen wird, viel angenehmer ist als der bisherige. Er wird also keine Furcht vor dem Tod haben, wenngleich er weiss, dass er sein Leben bis zu dem ihm bestimmten Ende leben muss, denn er ist hier, um Fortschritte zu machen, und dieser Fortschritt ist das einzig Wichtige auf dieser Welt. Seine ganze Lebensauffassung ist eine andere geworden: der Zweck seines Lebens ist nicht der, Geld zu verdienen und diese oder jene Stellung einzunehmen; das einzig Wichtige ist, den göttlichen Plan auszuführen. Er weiss, dass er deswegen hier ist und dass alles andere dahinter zurückstehen muss.


    Auch ist der Theosoph völlig frei von jeder Furcht, Angst oder Sorge in Bezug auf religiöse Dinge. Dies alles existiert nicht mehr für ihn, denn es ist ihm ganz klar, dass unser Fortschritt bis zum höchsten Ziele von Gott gewollt ist, dass wir diesem Fortschritt nicht entgehen können und dass alles, was in unserem Weg kommt, und alles, was uns geschieht, nur dazu dient, uns in unserer Entwicklung zu fördern; er weiss, dass niemand anderer unseren Fortschritt aufhalten kann als wir selbst. Er macht sich darum auch keine Sorgen um sich selbst. Er geht ruhig seinen Weg und tut seine nächsten Pflichten, so gut es ihm möglich ist, in dem sicheren Glauben, dass ihm dann alles zum Wohle gereichen wird, ohne dass er sich fortwährend darum zu sorgen braucht. Er ist zufrieden damit, ruhig seine Pflicht zu tun und seinen Mitmenschen nach Kräften zu helfen, da er weiss, dass die grosse göttliche Kraft, die dahinter liegt, ihn langsam und sicher vorwärts bringen und alles für ihn tun wird, was getan werden kann, solange sein eigener Blick fest auf das Ziel gerichtet ist, solange er alles tut, was er vernünftigerweise tun kann.


    Da er weiss, dass wir alle einen Teil einer großen Entwicklung bilden und tatsächlich Kinder eines Vaters sind, so erkennt er, dass die allumfassende Bruderschaft der Menschheit keine blosse Einbildung ist, sondern eine feststehende Tatsache; keine Utopie, kein Traum, der sich erst in nebelhafter Zukunft verwirklichen soll, sondern ein Zustand, der bereits jetzt besteht. Die Gewissheit dieser allumfassenden Bruderschaft erweitert seinen Horizont und lässt ihn alles von einem unpersönlichen Standpunkte aus anschauen.  Er weiss, dass die wahren Interessen aller Menschen im Grunde die nämlichen sind und, dass niemand auf Kosten von Verlusten und Leiden anderer tatsächlich etwas gewinnen kann, was von Dauer ist. Dies ist für ihn kein religiöser Glaubenssatz, sondern ein ihm durch sein Studium bewiesene wissenschaftliche Tatsache.


    Da die Menschheit buchstäblich ein Ganzes bildet, so erkennt er, dass nichts, was einem Menschen schadet, jemals dem wahren Wohle eines anderen dienen kann, denn jedes Leid, dass einem Menschen angetan wird, beeinflusst auch seinen Urheber und seine ganze Umgebung. Der Theosoph weiss darum, dass der einzige wahre Vorteil für ihn jener Gewinn ist, den er mit anderen teilt.  Er begreift aber auch, dass jeder Fortschritt, den er selbst auf dem Wege der spirituellen Entwicklung zu machen fähig ist, nicht nur ihm selbst, sondern auch anderen Vorteil bringt. Erwirbt er Wissen und Selbstbeherrschung, da bedeutet dies nicht nur für ihn einen Gewinn, sondern er hilft damit auch den anderen und stärkt sie. Denn da die Menschheit eine absolute spirituelle Einheit ist, macht der spirituelle Fortschritt eines Menschen auch die Last aller anderen leichter und bedeutet einen, wenn auch kleinen, so doch bemerkbaren Fortschritt der Menschheit als Ganzes; und jeder, der in edelmütiger Weise Leid und Kummer in seinem Kampfe um die Wahrheit erträgt, hilft auch seinen Brüdern ihre schwere Last an Kummer und Leid zu tragen.


    Weil er diese Bruderschaft nicht nur als eine Hoffnung ansieht, sondern als eine bestimmte Tatsache, die sich logischerweise aus allen anderen Tatsachen ergibt, verändert sich der Standpunkt des Theosophen gegenüber seiner Umgebung beträchtlich. Da er erkennt, dass nichts, was mit den höheren Interessen der Menschheit im Widerspruche steht, ihm irgendwie Vorteil bringen kann, ist es natürlich, dass er von denkbar größter Duldsamkeit und Bruderliebe erfüllt ist. Er kann nicht mehr unduldsam sein, denn er weiß, dass es gleichgültig ist, was ein Mensch glaubt, solange er ein guter und ehrlicher Mensch ist. Er wird auch mildherzig sein, weil sein größeres Wissen ihn befähigt, gegen vieles Nachsicht zu üben, was der gewöhnliche Mensch nicht versteht. Der Standpunkt des Theosophen in Bezug auf Recht und Unrecht wird immer höher sein als der des weniger aufgeklärten Menschen, und doch urteilt er viel milder über den Verbrecher, weil er die menschliche Natur besser kennt. Er versteht, wie die Sünde dem, der sie beging, im Augenblick ihres Entstehens erschien, und so übt er größere Milde und Nachsicht, als es ein Mensch jemals tun kann, der all diese nicht weiß.


    Er fühlt jedoch noch mehr Duldsamkeit, Milde und Sympathie - er fühlt eine positive Liebe zur Menschheit, und das führt ihn zu einem Verhalten stets wachsamer Hilfsbereitschaft. Er fühlt, dass jeder Verkehr mit anderen für ihn eine Gelegenheit ist, zu helfen, und das größere Wissen, das er durch sein Studium erlangt hat, befähigt ihn fast in allen Fällen, die an ihn herantreten, Rat und Hilfe zu geben. Nicht, dass er anderen seine Meinung aufdrängte, im Gegenteil, er weiß, dass dies einer der gewöhnlichsten Irrtümer ist, den die Nichtwissenden begehen. Er weiß, dass Diskutieren eine Kraftverschwendung ist, und deshalb weigert er sich, es zu tun. Wünscht jemand von ihm Aufklärung oder Rat, so ist er stets bereit, diesem Wunsche zu entsprechen, ohne jedoch im Geringsten die Absicht zu haben, ihn zu seiner eigenen Ansicht zu bekehren.


    Der Gedanke der Hilfsbereitschaft erfüllt ihn nicht nur gegenüber seiner Mitmenschen, sonder auch gegenüber den Tieren. Der Theosoph weiß, dass auch sie seine Brüder sind, wenn auch seine jüngeren Brüder, und dass er auch ihnen gegenüber brüderliche Pflichten zu erfüllen hat, und dies gibt ihm einen Prüfstein, mit welchem er alles prüfen kann - seine eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen und alles, was ihm in der Aussenwelt begegnet.


    Stets wendet er seinen Prüfstein an: ist es recht oder ist es unrecht, fördert oder hindert es die Entwicklung? Steigen in ihm Gedanken und Gefühle auf, so erkennt er sogleich nach diesem Prüfstein, ob er sie ermutigen darf. Dienen sie dem Wohle der größtmöglichen Anzahl, dann sind sie gut; hindern sie jedoch den Fortschritt irgend eines Wesens, dann sind sie schlecht und müssen vermieden werden. In derselben Weise muss er beurteilen, ob er von aussen kommende Dinge unterstützen darf.


    Die Frage des persönlichen Interesses kommt für den wahren Theosophen überhaupt nicht in Betracht. Er denkt nur an das Gute der Entwicklung als Ganzes. Der Wille der Gottheit ist die Entwicklung des Menschen; was daher diese Entwicklung fördert, muss gut sein, was sie aufhält, muss unrecht sein, selbst wenn es die große Macht der öffentlichen Meinung und langer Tradition auf seiner Seite hat.


    Da er weiß, dass der wahre Mensch das Ego (das geistige Ich) und nicht der Körper ist, erkennt er, dass nur das Leben des Egos von Wichtigkeit ist und dass alles, was mit dem Körper zusammenhängt, diesen höheren Interessen untergeordnet werden muss. Er weiß, dass der wahre Zweck seines Lebens das Entfalten der Kräfte als Ego, die Entwicklung seines Charakters ist, und er weiß, dass in Bezug auf diese Entwicklung nichts Geringeres als absolute Vollkommenheit von ihm erwartet wird; dass die Erfüllung dessen in seiner Hand liegt, dass er eine Ewigkeit hiezu vor sich hat, dass er aber um so glücklicher und nützlicher sein wird, je früher er sie erreicht.


    Er sieht sein Leben nur wie einen Schultag an und seinen physischen Körper als ein zeitweiliges Gewand, dass er zum Zwecke des Lernens angelegt hat. Er weiß, dass dieser Zweck, zu lernen, der einzige ist, der wirklich Wert hat, und dass der Mensch, der sich aus irgendeinem Beweggrund von diesem Zweck abbringen lässt, mit unverzeihlicher Dummheit handelt. Ihm erscheint ein Leben, das ausschließlich der Erwerbung von Reichtum oder Ruhm gewidmet ist, wie ein blosses Kinderspiel. Sein Augenmerk ist auf die überirdischen Dinge gerichtet und nicht auf die irdischen, nicht nur, weil er weiß, dass dies so sein soll, sondern weil er deutlich die Wertlosigkeit der irdischen Dinge sieht. Er versucht stets den höheren Standpunkt einzunehmen, denn er weiß, dass der niedere ganz unzuverlässig ist - dass die niederen Gefühle und Wünsche sich wie ein dichter Nebel um ihn legen und es ihm unmöglich machen, von dieser Ebene aus irgend etwas klar zu erkennen.


    Hat er innerlich einen Kampf zu bestehen, dann erinnert er sich daran, dass er selbst das höhere Ich ist und, dass das niedere nicht sein wahres Selbst ist, sondern nur ein unkontrollierter Teil eines seiner Körper (seines Gedanken-, Gefühls- oder physischen Körpers.) Er weiß, dass, wenn er auch tausendmal fällt, sein Beweggrund, das Ziel zu erreichen, immer gleich stark bleibt und dass es töricht und unrecht sein würde, sich der Verzagtheit oder Hoffnungslosigkeit hinzugeben. Er beginnt seine Wanderung auf dem Wege des Fortschritts sogleich - nicht nur, weil er weiß, dass es für ihn um so leichter ist, je früher er beginnt, sondern besonders deshalb, weil er, wenn er sich schon jetzt bemüht, eine höhere Stufe zu erreichen, imstande ist, denen, die noch nicht soweit sind, eine hilfreiche Hand zu geben. Auf diese Weise nimmt er, wie gering sein Mitwirken auch sein mag, an dem großen göttlichen Werke teil. Er weiss, dass er nur durch einen langsamen Prozess des Wachstums bis zu seinem jetzigen Zustand gekommen ist, und daher erwartet er nicht, dass er sofort die Vollkommenheit erreichen wird. Aber er sieht, wie unvermeidlich das große Gesetz von Ursache und Wirkung ist und dass er es zu seiner geistigen und moralischen Entwicklung benützen kann, ebenso wie wir in der physischen Welt die Naturgesetze benützen können, die zu verstehen wir gelernt haben.


    Da er versteht, was der Tod bedeutet, so weiß er, dass nichts dabei zu fürchten oder darüber zu trauern ist, ob er ihm selber droht oder seinen Lieben. Schon oft ist an sie alle der Tod herangetreten, er ist ihnen also nichts Fremdes mehr. Er sieht den Tod nur an als einen Übergang von einem Leben, dass zur Hälfte physisch war, zu einem höheren Bewusstseinszustand, weshalb er ihn mit Freuden begrüsst. Und selbst wenn der Tod diejenigen betrifft, die er liebt, so erkennt er auch dann den Vorteil, der ihnen daraus erwachsen wird, wenngleich er natürlich Schmerz und Bedauern darüber fühlt, dass er zeitweise von ihnen getrennt ist, soweit die physische Welt in Betracht kommt. Aber er weiß, dass ihm die sogenannten Toten noch immer nahe sind und, dass er seinen physischen Körper nur eine Zeitlang im Schlafe abzulegen braucht, um wie früher neben ihnen zu sein. Er sieht klar, dass die Welt eine Einheit ist und, dass dieselben göttlichen Gesetze überall herrschen, sowohl in der sichtbaren Welt, wie auch in der dem physischen Auge unsichtbaren. Er empfindet daher kein Gefühl der Angst oder Befremdung, wenn er von einem Teil der Welt zu einem anderen übergeht. Er weiss, dass sich ihm in den höheren Leben herrliche Gelegenheiten bieten werden, neues Wissen zu erwerben wie auch nützliche Arbeit zu verrichten und dass das von diesem dichten Körper losgelöste Leben so hell ist, dass alle irdischen Freuden daneben verschwinden. So strahlt durch sein klares Erkennen und durch sein ruhiges Vertrauen die Macht des göttlichen Lebens auf alle, die sich ihm nahen.


    Ein Zweifel über sein Zukunft ist ihm unmöglich, denn ebenso wie er im Zurückschauen den Wilden sieht und erkennt, was er selbst in der Vergangenheit war, so weiß er auch, wenn er die Größten und Weisesten der Menschheit sieht, was er selbst in Zukunft sein wird. Er sieht eine fortgesetzte Kette der Entwicklung, eine Leiter der Vollkommenheit, die beständig vor ihm aufsteigt, und auf allen Sprossen erblickt er menschliche Wesen, woraus ihm klar wird, dass auch er alle Sprossen der Leiter erklettern kann. Das Erkennen der Unwandelbarkeit des großen Kausalgesetzes gibt ihm einen perspektivischen Sinn und zeigt ihm, dass, wenn ihn etwas trifft, er es verdient hat als eine Folge von Handlungen die er begangen, von Worten, die er gesprochen oder von Gedanken, denen er in sich Raum gegeben hat in vergangenen Tagen oder in früheren Leben. Er versteht, dass alles Unglück gleichsam die Bezahlung einer Schuld ist, und wenn er daher im Leben Unannehmlichkeiten hat, so sieht er sie als eine Lektion an, aus der er etwas lernen kann, denn er erkennt, warum sie in sein Leben gekommen sind, und er ist froh über die Gelegenheit, die ihm geboten wird,  etwas von der alten Schuld abzahlen zu können. Er verliert keine Zeit damit, sich um zukünftige Unannehmlichkeiten zu sorgen. Stellen sie sich ein, so vermehrt er sie nicht dadurch,  dass er sich ärgert und grämt, sondern er versucht, das, was unvermeidlich ist, mit Geduld und Stärke zu ertragen. Dabei fügt er sich in diese widrigen Umstände aber nicht wie ein Fatalist, sondern er sieht sie als Mittel an, sich so zu entwickeln, dass er fähig wird, sie zu überwinden, und so gestaltet er das Übel längst vergangener Zeiten in eine Saat zukünftigen Wachstums um. Denn eben dadurch, dass er die rückständige Schuld bezahlt, entwickelt er Eigenschaften des Mutes und der Entschlossenheit, die ihm in Zukunft von großem Nutzen sein werden.


    Der Theosoph unterscheidet sich von seinen Mitmenschen durch seine stets gleichbleibende Heiterkeit, durch seinen unerschrockenen Mut, den er auch unter den schwierigsten Verhältnissen nicht sinken lässt, und durch seine freundliche Sympathie und Hilfsbereitschaft; doch ist er zugleich auch ein Mensch, der das Leben ernst nimmt, denn er weiss, dass es für alle genug in der Welt zu tun gibt und dass daher keine Zeit zu verlieren ist. Er weiss, dass er sich nicht nur sein eigenes Schicksal bereitet, sondern dass er auch in hohem Masse auf das Schicksal anderer Menschen einwirkt und dass er bei dem Gebrauche seiner Kräfte eine schwere Verantwortung hat. Er weiss, dass Gedanken Dinge sind und, dass es leicht möglich ist, großen Schaden oder viel Gutes durch sie zu stiften. Er weiss, dass niemand für sich allein lebt, da jeder seiner Gedanken auch auf andere einwirkt, dass die von seinem Mentalkörper und von seinem Gemüt ausgehenden Schwingungen sich in den Mentalkörpern und Gemütern anderer Menschen wiederholen, so dass er also eine Quelle geistiger Gesundheit oder geistigen Übels für alle ist, mit denen er zusammenkommt. Dadurch fühlt er sich einem viel höheren ethischen Standpunkte aus verpflichtet als jenem, der in der Aussenwelt gilt, denn er weiss, dass er nicht nur seine Handlungen und Worte kontrollieren muss, sondern auch seine Gedanken, da diese unter Umständen ernstere und weitreichendere Wirkungen hervorrufen können, als ihre äussere Manifestation in der physischen Welt. Er weiß, dass diese Beeinflussung der anderen zum Guten oder Bösen unbewusst selbst dann erfolgt, wenn er gar nicht an sie denkt. Er wendet aber sein Denken auch bewusst zum Guten an und schickt seine Gedanken aus, um Freunden geistige Hilfe und Trost zu spenden, und so eröffnet sich ihm eine ganz neue Welt des Dienen.


    Da er stets in allem das Gute sucht und sich bemüht, es zu stärken, da er immer versucht, zu helfen und nie zu hindern, so wird er seinen Mitmenschen zu einer immer größeren Segensquelle und ist auf seine Weise ein Mitarbeiter an dem herrlichen Werke der Entwicklung. Er vergisst sich selbst vollständig und lebt nur um der anderen willen; er sieht sich als einen Teil des Entwicklungsplanes an und erkennt den Gott in sich. Er strebt danach, ihn immer wahrer zu manifestieren, und indem er so den Willen Gottes erfüllt, wird er nicht nur zum Segen für sich selbst, sondern auch für seine Mitmenschen.

 

 ADYAR Theosophische Zeitschrift für Österreich Nr. 4, Oktober/November 1946, 1. Jahrgang, S. 4 ff

 

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